AD MENSAM – Design auf Schloss Hollenegg

AD MENSAM – Design auf Schloss Hollenegg

Ich freue mich besonders für Alice Stori Liechtenstein und ihre heurige Design Ausstellung AD MENSAM auf Schloss Hollenegg einen Katalogbeitrag verfasst zu haben. Der Katalog ist nur in englischer Sprache erschienen, daher stelle ich meinen Katalogbeitrag in deutscher Sprache zum Nachlesen auf meine website. Mein heutiger, persönlicher Besuch anlässlich der Preview der Creative Industries Styria gibt schon eine Woche vor der Vernissage Einblick in diese spannende Ausstellung rund um die Tafelkultur. Selbstverständlich zeitgenössisch interpretiert und von Alice mit viel internationalem Weitblick kuratiert. Ein gelungener Blick über den Tellerrand.

Abbildung: Ausstellung AD MENSAM, Schloss Hollenegg, Mai 2019, Fotos: Annette Ahrens

Eine Kulturgeschichte der Tafelkultur

Öffentliche Zeremonien und Rituale dienten ebenso wie Tafelmanieren als nonverbale Kommunikationsformen der Macht und hatten für den Besucher des Hofes eine nicht minder gesellschaftliche wie politische Wirkung. Die hiermit verbundenen Ansprüche waren für alle Besucher der damaligen europäischen Welt trotz unterschiedlicher Sprachen gleichsam lesbar.[1] Ebenso wie wir heute japanisches Sushi mit Stäbchen essen oder die italienische Pasta mit einer Gabel am Tellerrand aufzurollen versuchen. Die gemeinsame Mahlzeit dient als Ausdruck des Friedens, daher werden bis heute Staatsakte auch bei Tisch besiegelt. Familienfeste wie Geburtstage, Taufen, Hochzeiten bis hin zum Totenschmaus leben von ihrer verbindenden, friedlichen Wirkung bei Tisch.

Seit dem Mittelalter wurden in allen sozialen Schichten Tafeltücher aus Leinen benutzt. Bei den fürstlichen Tafeln wurden sogar mehrere Tafeltücher als Ausdruck des Reichtums über einander gelegt. Interessant ist, dass der englische Hof auf Damast-Wäsche verzichtet um die wertvollen auf Hochglanz polierten Mahagoni-Tischplatten besser zeigen zu können. Darüber hinaus sollten sich die hochglanzpolierten Silberteile und Kristallgläser darin spiegeln können. Auf das glatte Bügeln sollte verzichtet werden, so hatte nämlich die Bügelfalte die räumliche Abgrenzung zum Nachbarn anzudeuten. Tafelsitten sind sicherlich auch ein Konsens um sein vis-à-vis nicht unnötig zu derangieren.

Abbildung: Der Slowene David Tavcar (geb. 1993) baut seinen familiären Stammbaum der Tafelgeräte mit Hilfe einer digitalen Tischdecke. Er hatte für Leitner Leinen schon Entwürfe realisiert, bevor er sich heuer mit einer eigenen, in Slowenien hergestellten Linie selbständig machte.

Der wertvolle Werkstoff Glas eroberte erst im 19. Jahrhundert als allseits verfügbarer Gebrauchsgegenstand den Tisch. Zuvor trank man aus silbernen Pokalen oder Bechern oder aber hatte das kostbare venezianische Glas sofort nach deren Verwendung wieder auf eine silberne „tazza“ abzustellen. Beim Service „à la francaise“ wäre die Gefahr des Umkippens für den servierenden Lakaien zu gefährlich gewesen. Den in richtiger Temperatur kredenzten Wein hatte man auf einen Schluck auszutrinken. Das Wort Kredenz kommt übrigens von „credere“, vom Glauben an meinen Vorkoster. Als fester Bestandteil des Zeremoniells hatte der Monarch seinem persönlichen Vorkoster mit der Giftprobe zu vertrauen, dass die kredenzten Speisen nicht in böswilliger Absicht vergiftet waren.

Abbildungen: Die Arbeit der Engländerin Katie Scott (geb. 1988) nimmt mit hauchdünnen Gläsern der Firma J. & L. Lobmeyr auf diese beiden Nahrungsproben mit „gesund und giftig“ Bezug. Auch das Tischtuch wurde für den quadratischen Tisch von ihr gestaltet.

Abbildung: Die von Kathie Stout bei der Porzellanmanufaktur Augarten ausgesuchten Porzellane gehen auf eine barocke Form zurück. Hier wurde von der Künstlerin eine „treumbleuse“ (dt. Zittertasse) mit ihrer Interpretation eines zeitgenössischen Dekors handbemalt. In Kombination mit den aufwendig eingelegten Historismus Tischgruppe eine gelungene Inszenierung.

Bei der heute selbstverständlichen Verwendung von Porzellan im Alltag vergessen wir den unvergleichlichen Luxus, den dieses Material bei den europäischen Höfen im 18. Jahrhundert hervorgerufen hat. Dieser „maladie de porcelaine“ sind die zahlreichen Manufakturgründungen in Europa zu verdanken. Nicht zu vergessen ist die erste Gründung im Jahre 1710 in Meissen. Nur neun Jahre später konnte bereits Innocentius Du Paquier eine Manufaktur in Wien gründen. Erst mit dem berühmten Schwanenservice für den Grafen Brühl um 1750 kennen wir ein einheitliches Porzellanservice bei Tisch. Die heute im Augarten situierte Wiener Porzellanmanufaktur wurde im Jahre 1923 neu gegründet, nachdem die Alte Kaiserliche Porzellanmanufaktur bereits 1864 zugesperrt worden war. Damals wie heute ist es eine Herausforderung eine Porzellanmanufaktur mit Erfolg am Leben zu erhalten.

Exotische Luxusgetränke wie Tee, Kaffee oder Schokolade wurden an den europäischen Höfen mit großer Vorliebe konsumiert. Die meist heiß genossenen Getränke schufen auch bei den Manufakturen eine große Nachfrage nach vergoldeten Schokolade-Kännchen, nach hauchdünnen Koppchen aus Porzellan oder nach neuen Besteckformen, die das Umrühren dieser damals eher bitter schmeckenden Köstlichkeit mit Eleganz erlaubten.

Abbildung: Die Belgierin Nel Verbeke (geb. 1989) nimmt mit ihren Gedanken zur Teezeremonie Bezug auf diese Trinkkultur und schafft mit vier Nischen einen neuen Raum im Raum zum Teetrinken. Der silberne Samowar aus dem 19. Jahrhundert stammt aus dem Besitz der Familie Liechtenstein.

Die Entstehung von Tafelbesteck wie wir es heute in Europa verwenden, ist seit dem 19. Jahrhundert dokumentiert. Die Gabel wurde zwar im 16. Jahrhundert in Italien entwickelt und fand nur zögerlich ihren Eingang an den französischen Hof. Selbst König Louis XIV. lehnte deren Verwendung bis zu seinem Tod ab. In manchen Kulturen wird neben der Hand nur der Löffel zur Nahrungsaufnahme benützt. Das deutsche Wort „Löffel“ wird mit dem mittelhochdeutschen Wort für „laffen“ (schlecken und schlürfen) in Verbindung gebracht. Als „Göffel“ bezeichnet man solch eine Mischform von Gabel und Löffel.

Abbildung: Der Franzose Ferréol Babin (geb. 1987) schnitzt aus Sequoia-Holz Löffel, deren Verwendbarkeit auch teilweise einer Gabel mit zwei Zinken gleichen. Das Holz stammt von einem 1860 gepflanzten Baum aus dem Schlossgarten Hollenegg.

Ein mehrgängiges Menu ist bis heute Ausdruck einer Wohlstandsgesellschaft. Oftmals ist die Vorstellung von barockem Überfluss in einem opulenten Buffet manifestiert. Man vergisst, dass bis 1800 in Europa mit dem „service à la francaise“ alle Trachten, das heißt alle Gänge gleichzeitig auf die Tafel gestellt wurden. Das heißt nicht zwingend, dass alles auch gegessen wurde. Vielmehr standen dem Gast nur die um einen selbst aufgestellten Speisen zur Verfügung. Diese oftmals kalt, da die langen Gehwege von der Küche zu den Festräumen trotz silberner Cloches, also Wärmehauben, nicht zu überbrücken waren. Die Schaubuffets mit aufwendig geschmückten Schwänen und Fasanen wurden nicht immer geplündert.

Abbildung: Die italienische Designerin Sara Ricciardi (geb. 1989) nimmt mit ihrer Arbeit und ihrem „neuen Banquet“ auf diese aristokratischen Rituale mit Szenen in den Arkaden von Schloss Hollenegg Bezug.

Abbildung: Die in Wien lebende Designerin Alexandra Fruhstorfer (geb. 1987) experimentiert mit ihrem dreigängigen Menu mit Fragen des ökologischen Gewissens beim Verzehr von Nahrungsmitteln. Allen voran der Waschbär.

Abbildung: Die Ästhetik von Seegras oder Flechten auf Tellern inszeniert die in Zürich lebende, holländische Designerin Carolien Niebling (geb. 1984) auf einem mit Perlmutt eingelegten Tisch aus dem Besitz der Familie Liechtenstein. 

Bei barocken Tafeln fanden Terrinen und Schüssel stets paarweise in der Mitte der Tafel Aufstellung. Genaue Aufstellungspläne zeigen uns bis heute diese genauen Standplätze aller Tafelgeräte. Erst beim „Service à la russe“ um 1800 konnte die Tafelmitte mit einem Spiegel-Surtout und großen Vasen und Kandelabern bespielt werden. Der Frage nach der Lichtquelle bei Tisch widmen sich heute genaue Studien, denn die Kronleuchter hatten meist nur eine Luxstärke für den prachtvoll ausgestatteten Plafond. Daher standen also jedem Gast ein Kerzenleuchter mit kostspieligen Kerzen aus ungereinigtem Tierfett zur besseren Beleuchtung zur Verfügung. Dies erklärt auch die unglaubliche Fülle an Kerzenleuchtern aus Silber, Glas, Porzellan oder Zinn, die sich bis heute in den Sammlungen von Museen oder aristokratischen Familien erhalten haben.

Abbildung: Der Londoner James Shaw (geb. 1987) erinnert mit seinen self-built-plastic an diese Tafeltraditionen des Barock.

Der deutsche Begriff Besteck leitet sich vom Wort „Beisteck“ ab. Man trug das Besteck in einem Köcher bei sich und brachte es als Gast zum Essen mit. Der Beruf eines „fructier“ wusste nicht nur die richtige Reife von Obst zu überprüfen, sondern hatte auch die Früchte für den Monarchen kunstvoll mit dem Messer zu schnitzen, wie eine Anleitung zum Tranchieren[2] von Früchten illustriert. Hier soll aus einer einfachen Birne ein kunstvoller Schwan entstehen, um den Adressaten zu entzücken. Erst Ende des 18. Jahrhunderts wurden einheitliche Bestecke vom Haushalt für die Gäste bereitgestellt. Die Kaiserstadt Wien bot mit Ende de 19. Jahrhunderts viele zahlungswillige und kaufkräftige Kunden des Hochadels wie auch des Bürgertums, die den kaiserlichen Lebensstil nachzuahmen suchten. Die überkompletten Besteck-Kassetten beinhalten nicht nur Bestecke für 24 Personen, sondern auch Spezialbestecke wie Eissichelmesser, Austern und Schneckengabeln, Konfekt- und Obstbesteck, Knödellöffel und Spargelzangen. Nicht zu vergessen sind Kabarettgabeln oder Mixed Pickles Gabeln. Manchmal sind diese Bestecke auf die weiblichen Erben als Aussteuer in der Familie aufgeteilt worden.

Abbildung: Detail eines Aquarells von Rudolf von Alt, Festsaal von Schloss Hollenegg mit eingedeckter, ovaler Tafel und zwei Schaubuffets mit Silber, Provenienz: Sammlung Liechtenstein, Schloss Hollenegg

Das Fischbesteck als Spezialisierung des Tafelkultur kommt von England auf den Kontinent, vorher wurde Fisch mit zwei Gabeln gegessen, was bis heute in aristokratischen Haushalten überliefert ist.

Die Beschäftigung mit Tafelkultur ist nicht nur spannend, sondern die Basis für das Verständnis von vielen Gewohnheiten, die wir rund um die Esskultur entwickelt haben. Die einzelnen Gegenstände erzählen Geschichten, die wir tagtäglich neu erzählt bekommen. Bei Tisch, beim Würstelstand wie auch beim Reinbeißen in einen Burger.

AUSSTELLUNG AD MENSAM will explore the table as a place where we come together, share food, behave, fight and reunite. The table as the setting for human interactions, a place where rituals play an important role in determining with whom we sit and how, instinctively and traditionally, the rules of sharing food get made. Twenty designers will be showing recent works, especially commissioned for exhibition, next to the historical objects of the castle.

From Friday, 17th May 2019 to Monday, 27th May 2019, Schloss Hollenegg for Design will open once again its doors and majestic rooms to host a contemporary design exhibition, AD MENSAM.

www.schlosshollenegg.at
17 – 27 may 2019 from 11am to 5pm

Beteiligte:

Katie Scott und J&L Lobmeyr, Katie Stout und Augarten, Os&Oos, Nel Verbeke Commonplace und Logicdata, Arabeschi di Latte, Ferréol Babin, Dean Brown, Crafting Plastics, Alexandra Fruhstorfer, Laurids Gallée, Alexandre Humbert, Kneissl + Prade, Carolien Niebling, Optimismus, Omer Polak, Sara Ricciardi, Studio Plastique, Studio Quetzal, James Shaw, David Tavcar

Alle Fotos: Annette Ahrens, Mai 2019