Verschwundene Wiener Hotels: Zum Beispiel Ferdinand HESS

Verschwundene Wiener Hotels: Zum Beispiel Ferdinand HESS

Ein zufälliger Fund von Alpakkawaren auf einem Flohmarkt, machte mich auf eine Gravur eines heute nicht mehr existenten Grand-Hotels in Wiens Stadtmitte aufmerksam: Ferdinand Hess mit seinem „Österreichischen Hof“ in der Rotenturmstrasse 18 und dem heute noch existenten Hotel „König von Ungarn“ in der Schulerstrasse 10, beide im 1. Wiener Gemeindebezirk. Das Haus „Österreichischen Hof“ wirbt auf einer graphisch modern gestalteten Postkarte um 1920 für die „Hess-Hotels“ mit immerhin 250 Betten, fliessendem Wasser, Zentralheizung, Telefon, 30 Privatbädern und einem Restaurant. Besonders betont wird die „Gefolgschaft, die seine lieben Gäste ergeben und flink bedient“.

Abbildung: Versilberte Besteckteile mit Spezialgravur für Ferdinand Hess der Fa. Berndorf, um 1910 (Eigentum von Annette Ahrens Tafelkultur)

Das Obstmesser links und die beiden Gabeln tragen die Bezeichnung: „Ferd.Hess Hotel“ in einer Kartusche. Weitere Gravierungen eines ligierten Monogrammes „fh“ können ebenso den Hess Hotels zugeordnet werden. Neben zahlreichen Bestecken sind auch Tafelgeräte wie Saucièren und Schalen, vorrangig der Berndorfer Metallwarenfabrik auf dem Markt aufgetaucht. Diese sind beliebte Objekte bei Sammlern der untergegangenen Hotellerie-Szenerie in Wien. In seinem Reiseführer „Souvenir de Vienne“ gibt Hess seine Lieferanten preis: die Chinasilberwarenfabrik Berndorfer Metallwarenfabrik tritt sogar mit einer illustrierten Werbung auf.

Abbildung: Ferdinand Karl Hess in Streseman, seine Schwester und Mutter: sowie Vater; Fotografin: Madama d´Ora, 30.6.1919 Fotonachweis: ÖNB 204175-D

Bereits Ferdinand und Valerie Hess betrieben an dieser Adresse in der Rotenturmstrasse ab 1814 ein Hotel, wohl mit dem Namen Hotel „Heidner“. Nach langjährigem erfolgreichem Betrieb wurde das Haus unter Josef Hess 1861 anstelle des alten Hauses auf einer Fläche von 1.150 Quadratmetern mit einem Aufwand von knapp einer Million Kronen der „Österreichische Hof“ errichtet. Als Architekt ist der in jüdischen Kreisen und beim Geldadel beliebte und oftmals beauftragte Anton Baumgartner (* 26. Oktober 1820 in Totis, Ungarn; † 5. April 1887 in Wien) belegt. Beim späteren Umbau 1900 zeichnete Ludwig Schmidl (* 23. April 1863 in Wien; † 20. März 1924 ebenda) verantwortlich. Ferdinand Carl Hess wurde am 12. August 1897 als Sohn dieses Hoteliers in Wien geboren. Der auch politisch tätige Hotelier Ferdinand Hess stirbt am 10. Februar 1980 in Klosterneuburg.

 

Abbildung: Auszug aus dem Firmenkatalog der Fa. Berndorf, um 1910, Sammlung der ausgeführten Spezial-Gravuren für Hotels und Kaffeehäuser (Firmenkatalog im Eigentum von Annette Ahrens)

Abbildung: Auszug aus der illustrierten Reisezeitung vom 20. April 1886

In der illustrierten Reisezeitung vom 20. April 1886 werden nur drei Hoteladressen in Wien angeführt: Das Grand Hotel am Kärntnerring, das Hotel Metropole und der „Österreichische Hof“ am Fleischmarkt 2, der als einziger eine Anzeige mit Abbildung des Hauses schaltet. Die schönen luftigen Zimmer werden neben der Lage mitten in der Stadt und einem vorzüglichen Restaurant mit Garten gelobt. 1911 werden in einer Anzeige im Illustrierten Wegweiser durch die österreichischen Kurorte, Sommerfrischen und Winterstationen die billigen Winterwohnungen im Hotel hervorgehoben.

Abbildung: Fritz Gareis (Wien 1872 – 1925 ebenda), Aussenansicht des Hotels, Aquarell, Juni 1901, Quelle: Reiseführer „Souvenir de Vienne“ von Ferd. Hess´Hotel Österreichischer Hof, um 1905 (Besitz: Annette Ahrens)

Abbildung: Detail einer Porzellanplatte der Fa. Haas & Czizek, Kärntnerstrasse 5, Wien I. mit dem Logo für Ferd. Hess Hotels, um 1910, (Privatbesitz Loket, Foto: August 2020 von Annette Ahrens)

Unlängst durfte ich einen tollen Fund in der westböhmischen Stadt Loket (Ellbogen) nahe Karlsbad machen. In Privatbesitz einer Sammlung von böhmischen Porzellan haben sich Porzellanplatten mit den ausgeführten Hotel-Logos erhalten. Darunter fand ich auch ein rundes Emblem für unsere Wiener Hotels von Ferdinand Hess in grüner Farbe.

Abbildung: Frühstückszimmer des Hotels, Fotografie Max Jaffé, Wien, um 1905, Quelle: Reiseführer „Souvenir de Vienne“ von Ferd. Hess´Hotel Österreichischer Hof, publiziert um 1905 (Besitz: Annette Ahrens)

Die quadratischen Tische des Frühstückszimmers haben keine Tischtücher und erwarten den Gast mit Wasserkaraffen und einer Tageszeitung. Das obligate Zünderset, wohl der Fa. Berndorf weist auf die damals noch gesellschaftlich anerkannte Rauchmode hin. Jeder Tisch wurde mit einer eigenen Lampe, wohl von der Bronzewaren- und Lusterfabrik Melzer & Neuhardt, Stolzentalergasse 6, 1080 Wien beleuchtet. Die Bestuhlung dürfte von der Kunstmöbelfabrik August Ungethüm, Obere Amtshausgasse 27, 1050 Wien oder den Gebrüdern Thonet, die am Stephansplatz 1 gebogene Holzarbeiten anboten, stammen. Auf diese beiden Möbellieferanten verweist Hess in seiner Werbebroschüre.

Abbildung: Speisesaal des Hotels, Fotografie Max Jaffé, Wien, um 1905, Quelle: Reiseführer „Souvenir de Vienne“ von Ferd. Hess´Hotel Österreichischer Hof, publiziert um 1905 (Besitz: Annette Ahrens)

Dieses Foto gibt uns einen seltenen Einblick in den Speisesaal des Hauses. Die Tafelservietten sind auf dem Gedeck des Gastes aufgestellt. Zwei elegant gekleidete Kellner sind mit einem der hinteren Tische beschäftigt. Die Tafelwäsche für den Österreichischen Hof lieferte die Wiener Firma Heinrich Voglmayer, Bauernmarkt 3, 1010 Wien und N. Nadler. Dem Wäschemagazin ist ein eigenes Foto in der Werbebroschüre gewidmet. Es zeigt die fein säuberlich geschlichtete und gestärkte Weissware, um die sich hier ausschließlichen weibliches Personal kümmerte.

Glaswaren für Ferdinand Hess

Abbildung: Detail der Lithografie von Jakob Weeser-Krell (* 5. Dezember 1843 – † 13. August 1903) , 40 x 60 cm, Ladengeschäft „Glashüttenhof“ von J. Schreiber & Neffen, Liechtensteinstrasse Nr. 22-24, Alsergrund, erbaut 1902/1903 , Quelle: Archiv Rona Crystal, Lednické Rovne, Slowakei

Die Glashüttenwerke J. Schreiber & Neffe, Liechtensteinstrasse 22, im neunten Wiener Bezirk werben mit einer permanenten Ausstellung aller Art von Glaswaren, speziell für Hotels. Die hier mit Bier gefüllten Biertulpen dürften von diesem Lieferanten stammen, der um 1880 knapp 2.000 Arbeiter beschäftigte. Ein Firmenkatalog umfasst 3.000 Formen. Nach dem Zusammenbruch der Monarchie verlor die Firma ihre Klientel und musste letzlich 1925 schließen.

Thonet-Stühle für Ferdinand Hess

Die Bestuhlung geht auf ein beliebtes Modell von den Gebrüdern Thonet zurück. Es ist der Sessel Nr. 221 aus massiv gebogener Buche, der 1897 entworfen wurde (siehe MAK Inv.Nr. H 2190/1969). Die Besonderheit in der Produktion lag in der Verbindung der Rückenlehnholme durch ein Querholz, durch welche die maximal benötigte Länge der Buchenholzstäbe auf ca. 90 cm verringert werden konnte. Dadurch wurde der Umsatzträger für Thonet noch lukrativer.

Abbildung: Werbung im Illustrierten Wegweiser durch die österreichischen Kurorte, Sommerfrischen und Winterstationen, Salzburg 1910

Abbildung: Festsaal des Hotels, Fotografie Max Jaffé, Wien, um 1905, Quelle: Reiseführer „Souvenir de Vienne“ von Ferd. Hess´Hotel Österreichischer Hof, publiziert um 1905 (Besitz: Annette Ahrens)

Abbildung: Empfehlungskarte für werte Gäste als Werbung für die „Hess-Hotels“: Österreichischer Hof und König von Ungarn, um 1920 (Eigentum von Annette Ahrens Tafelkultur)

Diese häufig zu findende Karte lässt auf die hohe Auflage schliessen. Beide Hotels im Besitz der Familie Hess werden beworben. Natürlich sind die 120 Zimmer mit modernstem Komfort als vornehmes Familienhotel neben fließendem Wasser, Bad, Zentralheizung, Telefon und der Verköstigung im Restaurant oder als Pensionsgast ein Thema.

Abbildung: Werbung für Bauer´s Schuhe, Auszug aus dem Reiseführer „Souvenir de Vienne“ von Ferd. Hess´Hotel Österreichischer Hof, um 1905 (Besitz: Annette Ahrens)

Auf der Seite des Hotels am Fleischmarkt 2 dürfte auch der k.k. Hoflieferant, das Schuhwarenhaus H. Bauer ein Geschäft betrieben haben. Deine einzige Filiale ist in der Glockengasse Nr. 1 in der Leopoldstadt belegt. In der Zeitschrift „Die Bombe“ vom 1. November 1908 wirbt er für Herren., Damen-, Chevreaux-, Boxcalf- und Lackschuhe zu Einheitspreisen. Trotz der billigen Preise sind die Schuhe in den weitgehendsten Kreisen als elegant, solid und bequem bekannt. Auch dieser Name und das Geschäft sind heute aus unserer öffentlichen Wahrnehmung verschwunden.

Die Situation nach 1945

1945 verursachte ein bis heute nicht restlos geklärtes Herdfeuer im Kellergewölbe einen großen Schaden am Gebäude (Rotenturmstraße 16-18). Es wurde 1964 durch ein modernes, bis heute bestehendes Bürohaus der Architekten Edmund Bamer (*1906, † unbekannt) und Josef Becvar (* 19. Oktober 1907 in Wien; † 20. September 1984 ebenda) ersetzt. Nichts erinnert heute mehr an dieses Grand-Hotel im Stadtzentrum Wiens.

Abbildung: Ausschnitt aus dem Digitalisat des Gedenkbuches Ferdinand Hess, Seite 190, die Aufnahme ist wohl im September 1946 zu datieren.

Abbildung: Fassadensituation heute, Rotenturmstrasse 18, Foto: Annette Ahrens, 2020

Gedenkbuch

Abbildung: Gedenkbuch Ferdinand Hess, „Hotel Österreichischen Hof“ und „Hotel König von Ungarn“ Wien, Archiv des Hotels, 2020

Das über Jahrzehnte geführte Gästebuch der Hotels wird bis heute bewahrt und ist als Digitalisat auf der Website des Hotels „König von Ungarn“ abrufbar: https://www.kvu.at/fileadmin/user_upload/Gedenkbuch.

Abbildung: „König von Ungarn“, Spezialgravur für Ferdinand Hess der Fa. Berndorf, um 1910 (Eigentum von Annette Ahrens Tafelkultur)

Auf rund 250 Seiten finden sich die Eintragungen von politischer und gesellschaftlicher Prominenz, zahlreiche Illustrationen gedenken  Versammlungen, Jubiläen oder allem voran zufriedenen Hotelaufenthalten. Diese sind in die Jahre 1904 bis 1964 zu datieren. Am 21. November 1943 wird der 70. Geburtstag der Chefin, Valerie von Hess gefeiert und von zahlreichen Gästen mit ihrer Unterschrift dokumentiert (siehe Gedenkbuch Seite 182).

Die fähige Verwandtschaft

Weitaus bekannter sind die Kochbücher der Familie Hess. Ferdinands Bruder Alexander Hess war am Kärntner Ring 9 im Grand Hotel als Direktor tätig. Der 30 Jahre ältere Bruder Ferdinands, Adolf Franz Hess (* 12. November 1862 Wien, † 5. Dezember 1928 Reichenau) gründete die Wiener Gastgewerbeschule und brachte gemeinsam mit seiner Gattin Olga (* 4. Juli 1881, † 1. März 1965) im Jahre 1912 das bedeutendes Kochbuch „Wiener Küche“ heraus. Sie hatte 1903 ihren Vorgesetzten, den Direktor der Fachschule der Gastwirte und Hoteliers geheiratet. Die Rezepte stammten laut Kulinarikhistorikerin Ingrid Haslinger aus dem Rezeptschatz dem Hotel „König von Ungarn“, deren Besitzer Josef und Marie Hess waren. Es handelt sich um einen Querschnitt der Wiener Küche durch verschiedene Bevölkerungsschichten, und es bot neben gesunder, abwechslungsreiche Kost, die preiswert und schmackhaft war, auch moderne Ernährungswissenschaft an. Allein bis 1939 gab es 27 Ausgaben. 1952 erschien eine englische Version von Clara Schlesinger and Olga Hess’ „Viennese Cooking“. Selbst für die deutschsprachige Neuauflage von 1956 verfasste Olga Hess nochmals ein Vorwort mit Bekenntnis zur Wiener Küche.

Die mir bisher unbekannte Abbildung der eleganten Olga Hess als auch ein Einblick in die Gastgewerbeschule sind für mich ein wertvoller Beitrag, den ich der Autorin Susanne Belovari verdanke. Der Text beleuchtet die überraschend geeigneten Rezepte der Wiener Küche für den jüdischen Alttag. Quelle: aus Susanne Belovari, Wiener Juden und die Wiener Küche vor 1938, 2019

Abbildung: Titelblatt des Kochbuches „Wiener Küche“ von Adolf und Olga Hess, Verlag Deuticke, Wien 1952 (Buch im Besitz von Annette Ahrens)

Literatur:

Reiseführer „Souvenir de Vienne“ von Ferd. Hess´Hotel Österreichischer Hof, um 1905

Susanne Belovari, Wiener Juden und die Wiener Küche vor 1938, (Das Jüdischen Echo vol. 68, 2019/20, (https://experts.illinois.edu/en/publications/wiener-juden-und-die-wiener-kueche-vor-1938 (as of August 20, 2019)

Olga Hess, Die moderne Kochkunst: Kochbuch zusammengestellt aus den vorzüglichsten Rezepten der Großen Ceres-Preiskonkurrenz ergänzt durch Rezepte des Wiener Seminars zur Ausbildung von Kochlehrerinnen. Wien: Steiner, 1908

Olga und Adolf Fr. Hess, Wiener Küche, Wien 1913

Olga und Adolf Hess, Die Aufschreibungen der Hausfrau. Ein Beitrag zum Unterrichte in der hauswirtschaftlichen Buchführung. Wien: Selbstverlag der Zentraldirektion der Schulen 1916

Ingrid Haslinger, Die Wiener Küche. Eine Kulturgeschichte. Wien: Mandelbaum 2018

Hans Pemmer, Alt Wiener Gast- und Vergnügungsstätten, Wien um 1960, unpubliziertes Manuskript im Wiener Stadt- und Landesarchiv, Seite 145.

Der Wirt als Lehrer. Zum Tode des Hofrates Adolf Heß. In: Neues Wiener Journal, 11.12.1928, S. 5

Silberstein, A. (1857), ‚Über die körperliche und geistige Existenz der Faschings-Krapfen. Eine karnevalistische Naturforschung,‘ Der Humorist, 24 January, pp. 84-85.