Tafelkultur à la Vienne mit feinedinge*
Verlässt man die beliebte Wiener Innenstadt entlang der Staatsoper Richtung 5. Wiener Gemeindebezirk, so wird einem sehr bald stadtauswärts auf der linken Seite ein besonders helles Geschäft ins Auge fallen. Dutzende von Hängelampen in verschiedenen auf einander abgestimmten Pastell-Farben buhlen in der Auslage um die Gunst des Betrachters: Ein wahrer Lichtblick in diesem biedermeierlich geprägten Stadtteil. Umgeben sind diese Lampen aus Mokkatassen mit dominanter Glühbirne und bunten Textilkabeln von Porzellangefäßen, die bei näherer Betrachtung alle irgendwie anders als bisher Gesehenes sind. Ein Besuch in der jüngsten Porzellanmanufaktur Wiens – im Spannungsfeld von Design – Handwerk – Kunst?
Doch wie um Gottes Willen kommt man zu Beginn des 21. Jahrhunderts auf eine mehr als antiquierte Idee eine Porzellanmanufaktur zu gründen? Zumal die seit Jahrhunderten bestehenden Manufakturen wie Meissen, Nymphenburg und Berlin sich auf dem immer enger werdenden Markt nur schwer behaupten können. Noch dazu in einer Stadt wie Wien, die bereits seit 1923 eine eigene Porzellanmanufaktur im Augarten betreibt. Diese wurde damals als Weiterführung der bereits 1864 geschlossenen Kaiserlichen Porzellanmanufaktur neu gegründet, um alte Dekore wiederzubeleben und zeitgenössische Künstler zu beschäftigen. Wien, eine Stadt die zwar eine Universität für Angewandte Kunst betreibt aber zur Zeit keinen Lehrstuhl für Keramik vorsieht.
Doch die Leidenschaft eine eigene Porzellanmanufaktur der Gegenwart zu gründen, kommt nicht von irgendwo. Die Lehrerin für Sport und Englisch, Mag. Sandra Haischberger, geboren 1969 hatte 2005 nach Erfahrungen im Architektenbüro Embacher und der Geburt ihrer Tochter den Sprung in die Selbständigkeit gewagt und ein kleines Atelier mit dem Namen „feinedinge*“ eröffnet. Mit ihrer Ausbildung an der Hochschule für Angewandte Kunst sammelte sie bereits als Schülerin in der Meisterklasse für Produktgestaltung beim italienischen Architekten und Designer Matteo Thun (geb. 1952) wertvolle Erfahrungen im Produktdesign. Durch das Diplom beim italienischen Designer und Objektkünstler Enzo Mari (geb. 1932), konnte die smarte Niederösterreicherin weit über den nationalen Tellerrand blicken. Haischbergers Traum, altes Handwerk mit zeitgemäßem Design zu interpretieren, scheint mehr als gelungen, war jedoch nicht von Anfang an leicht. Heute kann der Besucher des 340m2 großen Geschäftes die benachbarte Werkstätte einsehen und beim Entstehen von Porzellan zusehen. Ein Moment, der den enormen Aufwand von Handarbeit deutlich vor Augen führt. Unzählige Gipsformen, schwere Säcke mit Kaolin und hemdsärmelige Angestellte konzentrieren sich auf die zu gießenden Formteile. Denn ihre Kunden verstehen längst, dass die haptisch ansprechenden Oberflächen leichte Unregelmäßigkeiten haben dürfen, wenn nicht gar haben müssen. So kann jeder Kunde mit seiner Farbe, Form und eigenem Dekor seinem Auftrag eine individuelle Note verleihen und ist nicht einem Massenprodukt eines schwedischen Allrounders als Geschmackfindung ausgeliefert.
Der gedeckte Tisch im Geschäftsraum zeigt nicht nur das gesamte Sortiment, sondern führt auch die mittlerweile 9 Farben, die alles andere als Weiß sind, vor. Sandra Haischberger hatte das bewusst als Alternative zum weißen Gold gewählt. Sie wollte im Unterschied zur farbigen Glasur die feine Textur und angenehme Haptik von unglasiertem Porzellan aus dem Ofen holen. Die leicht einfärbbare Masse aus Limoges erinnert an die Farbpalette des in den 50er Jahren nicht nur in Österreich so beliebten Lilienporzellans. Besonders die fröhliche Serie „DAISY“ konnte ab 1959 mit den erschwinglichen Preisen der Porzellanfabrik in Wilhelmsburg nahe Stift Lilienfeld (daher der Name) in die vom Wiederaufbau geschwächten Haushalte flächendeckend Einzug halten. Die 20jährige Nachkaufgarantie stellte sich als besonders verkaufsfördernd heraus. Namen bei Lilienporzellan wie Corinna, Menuett, Dora, Dolly oder Josefine werden bei feinedinge* mit ALiCE, DSCHiNNi, Smarties, Idols oder RAW auf die Verkaufsshow geschickt.
„RAW“
„RAW“ ist der Manufakturgründerin im Sinne der Nachhaltigkeit ein besonderes Anliegen. Das bezeichnet eine sogenannte recycelte Porzellangießmasse, welche bei der Wieder-Aufbereitung der Porzellanmasse entsteht. Hier sind die Gefäßkörper innen transparent glasiert. Die geschliffene Außenfläche bleibt unglasiert, ist dennoch spülmaschinenfest. Dies ist immer noch ein großes Thema bei der Kaufentscheidung. Die feinen Schattierungen von grau, hellblau, mintgrün und hellrosa sind einmalig und nicht reproduzierbar. Daher werden die noch weichen Geschirrteile vor dem Brand mit einem Stempel, der den Monat und das Jahr der Entstehung markiert, versehen. Vergleichbar mit Stücken der alten Wiener Porzellanmanufaktur, wo wir ab dem Jahre 1791 den Jahresstempel bis zur Schließung 1864 ablesen können. Besonders eine junge Klientel von Food Bloggern ist dieser Gedanke eines alltagtauglichen nachhaltigen Porzellanservices wichtig. Sie stellen auf Etappen mit Tellern in unterschiedlichen Größen und Farben, Bowls und Tassen ein unendlich vielfältiges Service zusammen. Auch feinedinge* Stücke sollen laut Haischberger täglich verwendet werden und nicht als zu kostbar weggesperrt werden. Sicherlich einer der Marketingfehler oder gar Hürden der bekannten großen Konkurrenten.
Anlässlich der jährlichen Designweek in Wien kann man sich sogar bei einem im Geschäftslokal veranstalteten „family“ Diner einbuchen und auf seinen keramischen feinedinge*-Lieblingen mal Probe essen. Die trendige Medienpräsenz der Presseartikel gemeinsam mit der bereitwilligen Leihgabe von feinedinge* Porzellanen für hippe Kochbuchprojekte lassen nicht verwundern, dass sich die Unternehmerin im Rahmen der Vienna products bei der Maison & Objet in Paris einem internationalen Publikum stellt. Sieben Mitarbeiterinnen unterstützen derzeit die Entwicklung und Ausführung der handgemachten Keramik. In Österreich kann feinedinge* mittlerweile 14 weitere Vertriebspartner aufweisen, europaweit sind schon 10 Länder im Boot. In Deutschland können die Keramiken in Köln, München, Berlin, Frankfurt und Lübeck in die Hand und somit in Augenschein genommen werden. Online ist die wendige Wienerin längst mit Designplattformen vernetzt. Somit sind Aufträge aus aller Welt, längst ausgestorben geglaubter Porzellanservice für 24 Personen, auch Aufträge einer eigentlich ausgedienten Gattung wie der Suppenterrine oder Eierbecher mit Monogramm in dieser kleinen Porzellanmanufaktur mitten in Wien keine Seltenheit. Ihr letzter Streich war eine Butterdose mit Baiser-Häubchen, die besonders in der sommerlichen Farbe Gelb eine tot gesagte Gattung bei Tisch wieder lebendig macht und der Vergangenheit neues Leben einhaucht.
Dieser Text erschien für KERAMOS, Gesellschaft der Keramikfreunde
Kontakt: Mag. Sandra Haischberger
Shop | Porzellanmanufaktur feinedinge*
Margaretenstrasse 35
1040 Wien
Österreich
+43 . 699 . 101 001 77
sandra@feinedinge.at
www.feinedinge.at