Gruss aus der Restauration „Zur grossen Tabakspfeife“, Trattnerhof, Goldschmiedgasse 7, Graben 29

Gruss aus der Restauration „Zur grossen Tabakspfeife“, Trattnerhof, Goldschmiedgasse 7, Graben 29

Das Lokal bekam seinen Namen nach einer 227 Pfund schweren Tabakspfeife

Jacques Jäger charakterisiert das neu renovierte altbekannte Restaurant folgendermaßen: „Nach der Renovierung für alle drei Klassen: Volkskeller im Souterrain, Speisesäle, Veranda und Extrazimmer im Paterre, sowie ein High-life Raum für gesonderte Gesellschaften im ersten Stock als ein der Gastronomie würdiges Etablissement.“ (siehe Pemmer Seite 63) Hans Pemmer (1886 – 1972) erwähnt auch die Qualität des stadtbekannten Rindfleisch im Meiszl und Schaden und eben der „Tabakspfeife“ (siehe Seite 333). Hans Pemmer arbeite bis zu seinem Tod 1972 an einem Museum der Wiener Gaststätten und Vergnügungsstätten („Gastronomie-Museum“), die lange Geschichte der Tabakspfeife hätte sicherlich eine Würdigung erfahren. Ich habe mich anlässlich eines Ankaufes von Tellern mit diesem großartigen, längst untergegangenen Tempel von Wiener Gastlichkeit auseinandergesetzt.

Das Bierhaus „Zur Tabakspfeife“

Im alten Trattnerhof befand sich bis zu dessen Demolierung im Jahre 1911 auch das bekannte Bierhaus „zur Tabakspfeife“, das sowohl vom Graben wie von der Goldschmiedgasse aus zugänglich war. Den Namen führte es nach einer Pfeife, die ihre eigene Geschichte hatte. 1551 ließ nämlich der Stadtrat auf die acht obersten Spitzen des Stephansturmes je ein Hirschgeweih aufsetzen, da man der Meinung war, dadurch das wilde Feuer (Blitz) abwenden zu können, denn es hieß, dass noch nie ein Hirsch vom Blitz erschlagen worden wäre. Da sich die Maßregel aber nicht bewährte und der Turm mehrmals vom Blitz getroffen und beschädigt worden war, nahm man mehr als 250 Jahre später die Geweihe wieder ab, denn in der Erfindung des Blitzableiters hatte man mittlerweile ein wirksameres Mittel gefunden. Aus den verwitterten Hirschhornresten der Geweihe ließ der mit der Aufsicht der Reparaturarbeiten am Dom betraute Magistratsrat Ignaz Heyss eine große Tabakspfeife schnitzen, die im Jahr 1810 als Schaustück im Gastzimmer des von ihm besuchten Wirtshauses im Trattnerhof aufgestellt wurde und der Gaststätte einen Schildnamen gab. Die Pfeife wog 227 Pfund, hatte ein Hauptrohr und 24 kleine Nebenrohre, aus denen die 24 ältesten Mitglieder der hier zusammenkommenden Ledererzunft zu rauchen pflegten. 1830 erstand die Pfeife ein Raritätensammler. Damit verschwand ein Wahrzeichen der Stadt, das im Bild erhalten geblieben ist. (Wikipedia)

Abbildung: Foto des Portals der Grossen Tabakspfeife aus: Albert Ilg, Portale Von Wiener Profanbauten des XVII. und XVIII. Jahrhunderts, Wien 1894, Bild 47 „Trattnerhof“, Graben 29, Wien 1. (Privatbesitz)

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Abbildung: Speisen- und Getränke-Tarif im Gasthause zur großen Tabakspfeife (undatiert, Wien, um 1900), Quelle: Zamarski & Dittmarsch (Druckerei), Wien Museum Inv.-Nr. 1885, CC0 (https://sammlung.wienmuseum.at/objekt/48523/), Download 2024

Abbildung: Alois Lackner`s Restauration zur grossen Tabakspfeife, Goldschmiedgasse 7a, Graben 29, Postkarte gelaufen 1908 (Privatbesitz)

Schon 1909 trägt das Portal eine andere Werbung.

Abbildung: Postkarte von 1910, angegebene Adresse Trattnerhof – Goldschmiedgasse 7 (Privatbesitz)

Der Autorin ist eine ähnliche Postkarte von Alois Lackner bekannt, welche rechts einen anderen Innenraum mit der großen Tabakspfeife zeigt. Ein Wintergartenähnlicher Raum mit halbrunder Glaskonstruktion bietet Platz für jeweils 5 Tische in zwei Reihen. Beeindruckend ist wahrlich die große Tabakspfeife, die in diesem Rauminstalliert ist. Der Stempel der Postkarte ist von 1906 datiert.

Abbildung: Postkarte „Restauration zur großen Tabakspfeife“, 1., Goldschmiedgasse/Trattnerhof – „Gruß aus Wien“ – „Restauration zur großen Tabakspfeife“ & 1., Spiegelgasse – „Weinkellerei zum Grabenkeller“,um 1900, Farblithografie, Quelle: Verlag: Karl Schwidernoch, Wien Museum Inv.-Nr. 236030,CC0 (https://sammlung.wienmuseum.at/en/object/1056020/) Download 2024

Abbildung: Foto „Zur Grossen Tabakspfeife“, gegründet 1616, Graben 29, 1010 Wien (Privatbesitz)

Zeitungssauschnitt bezeichnet:  „Elegante, vollständig neurenovierte Speise-Säle – Chambres separées – Französische und Wiener Küche – Pilsner Urquell – Schwechater Lager – Münchner Pschorr – Rendezvous der Fremden – Täglich bis 4 Uhr früh warme Küche.“

Abbildung: Zeitungsausschnitt aus Wiener Caricaturen, Nr. 54, Seite 710, Juli 1881, Adresse: Graben 29- Goldschmiedgasse 9

Das Bier-, Wein- und Speisehaus wird 1881 in den Wiener Caricaturblättern im Anzeigenteil erwähnt, obwohl Werbung überflüssig, erscheint diese Anzeige mit folgendem Wortlaut: „Diese im Centrum der Stadt zwischen dem Stephans- und Petersplatz gelegene Restauration besteht seit dem Jahre 1616 (ehemaliger Freisingerhof). Vom Jahre 1777 „zur großen Tabakspfeife“ genannt, vergrößert durch Gesellschaftszimmer, sowie durch einen Hofgarten, einzig in seiner Art, empfiehlt sich dem Publikum und Reisenden auf´s Beste. – Seine bekannte vorzügliche Küche und Keller empfiehlt sich von selbst, daher jede Reklame überflüssig. Achtungsvoll B. Götz Restaurateur.

Abbildung: Ausschnitt aus der Zeitschrift „Der Fremendenverkehr“ vom 9. Juni 1912, Seite 16

Geworben wird 1912 als „vornehmstes Restaurant Wiens mit erstklassiger Küche und Keller sowie mit zivilen Preisen“. Als Besitzer scheint Franz Rain auf.

Der Umbau des Restaurants vom Architekten Cesar Poppovits, 1911

Das Restaurant wurde von Architekten Cesar Poppovits (* 9. Februar 1876 in Wien – † 6. Juni 1938 ebenda) unter Mitwirkung der Maler Alfred Basel (* 23. März 1876 in Wien – † 24. Jänner 1920 in Dickenau, Gemeinde Türnitz, Niederösterreich), Leopold Forstner (* 2. November 1878 in Leonfelden, Oberösterreich – † 5. November 1936 in Stockerau) und des Bildhauers W. Bormann zur Ausführung gebracht. Im DKD von 1912 wird dieses Zusammenspiel vom Autor Arthur Roessler als „Genuss der Moderne“ konnotiert: „dass ein Mensch, der Auto fährt, der drahtlos telegraphiert, nicht in einem Rokokosalon empfangen, nicht in einer „altdeutschen“ Stube wohnen und auch nicht in einem pseudo-biedermeierischen Zimmer schlafen kann und darf…“ (DKD 1912, S. 259). Die Interieurs dieser erfolgreichen Umgestaltung wurden von Gustav Kahlhammer auf einer Serie von Postkarten der Wiener Werkstätte verlegt (Nr. 408-411, siehe Trude Hansen, 1982, S. 62f und S. 193). Cesar Poppovits gründete weiters gemeinsam mit den bildenden Künstlern Alfred Basel und Leopold Forstner 1912 das erste Unternehmen für „Wiener Friedhofskunst“.

Der Entwurf einer im MAK Wien (KI 15854-20-3, Ankauf 2008) verwahrten Einladung zur Besichtigung der Neuerrichteten Restauration „Zur Grossen Tabakspfeife“ Wien wird Leopold Forstner 1911 zugeordnet. Als Auftraggeber hatte er die Druckerei Chwala mit der Ausführung beauftragt.

WMW / Ich beehre mich, Euer – / Wohlgeboren zur / Besichtigung der / Neuerichteten Re- / stauration „zur Gros- / sen Tabakspfeife“, Wien / I. Jasomigottstr. No 6, / Ecke Bauernmarkt, / für Samstag den 23. De- / zember 1911 von 4 bis / 8 Uhr Nachmittags / höflichst einzuladen. Hochachtungsvoll / Leopold / Forstner / XX. Pappenheimg. 41 / Chwala’s Druck, Wien VII. Zieglerg. 61

Foto: Umbau von Architekt Cesar Poppovits, 1911, Foto abgebildet in: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 30, April 1912 – September 1912, S. 246.

Selbst dieses Restaurant musste sich eine Neugestaltung von Cesar Poppovits gefallen lassen, wie der Autor des Textes, Arthur Roessler im DKD von 1912 schreibt: „…musste sich die Transferierung und völlige Neugestaltung  gefallen lassen, um existenzfähig zu bleiben…“ (siehe DKD 1912, S. 246). Die hier dokumentierte Fassadengestaltung wurde laut Gerd Pichler, BDA Wien bereits 1940 verändert (siehe Fotos von Fred Hennings, Wien Museum, IN790006654 und 6659).

Kleiner Speiseraum

Die Wände des kleinen Speiseraumes waren mit schwarzem Glas und Goldmosaikstreifen gestaltet, welche die Wiener Mosaikwerkstätten ausführten. Das Mosaik von Leopold Forstner für das Restaurant gilt laut Martina Bauer als zerstört.

Foto: Der kleine Speiseraum abgebildet in: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 30, April 1912 – September 1912, S. 246.

Frühstücksraum

Ein kleiner Frühstücksraum mit tapezierten Sitzbänken und kleinen runden Tischen mit Hockern aus Eichenholz und Marmor verkleideten Wänden wurde vom Architekten Cesar Poppovits ebenso vorgesehen. Alles ist aus Eichenholz von der Firma H. Irmler in Wien ausgeführt worden. Die Kopfstützen wirken eine Spur orientalisch. Die kleine Bar im Hintergrund diente zur Vorbereitung der Kaffeesets. Das Foto zeigt die Vitrinenbereiche und die Regale mit Objekten gefüllt, darunter entdecke ich auch links oben ein Service der Fa. Pfeiffer & Löwenstein aus Schlackenwerth, dessen Entwurf auf Josef Hoffmann von 1910 zurückgeht (siehe Neuwirth, Wiener Keramik, S. 163, Abb.94). Bei der im MAK Wien verwahrten Fotografie des Frühstücksraumes (KI 7826-40, 66 x 50 cm), scheint als Fotograf Bruno Reiffenstein, 1912 auf.

Foto: Bruno Reiffenstein, Frühstücksraum in: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 30, April 1912 – September 1912, S. 247.

Marmorspeisesaal

Der gedeckte Tisch aus dem Marmorspeisesaal wird von Thonet- oder Stühlen der Fa. Kohn begleitet. Die rechte, verglaste Flügeltür wirkt wie ein eingebauter Wandschrank und konnte mit textilen Vorhängen blickdicht verschlossen werden.

Foto: In: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 30, April 1912 – September 1912, S. 249.

Klubraum

Foto: In: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 30, April 1912 – September 1912, S. 254.

Hier ist die Wand mit dunkelbrauner Seide und silbernen Leisten bespannt. Ein orientalischer Teppich fördert die Wohnzimmeratmosphäre dieses einzeln gedeckten Tisches für 6 Personen. Die Bestuhlung dürfte wieder von der Firma Kohn oder Thonet geliefert worden sein.

Der Stadtkeller im Souterrain des Restaurant „Zur grossen Tabakspfeife“, Wien

Foto: Architekt Cesar Poppovits, Der „Stadtkeller“, In: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 30, April 1912 – September 1912, S. 256 und 257.

Speise- und Weinkarten

Selbst die Speise- und Weinkarten waren vom Maler Alfred Basel gestaltet. Der Artikel im DKD von 1912 illustriert drei Beispiele. In Privatbesitz sind mir drei für den Urbanikeller gestaltete Weinetiketten bekannt, die bei der Ausstellung im Wien Museum als Leihgabe gezeigt wurden. Für jede Weinsorte gibt es ein eigenes Etikett, die Corporate Identity dachte sogar soweit. Es ist zu vermuten, dass auch die Weinetiketten für die Tabakspfeife seine künstlerische Gestaltung erfuhren.

Abbildung: Kopfleiste der Eröffnungs-Anzeige nach einem Entwurf von Alfred Basel

Die Kopfleiste der Eröffnungsanzeige lüftet das Geheimnis der großen Tabakspfeife in einer modern gestalteten Schatulle mit großem Schlüssel. Die schwarz weiss Ornamentik ist uns von Entwürfen der Künstler im Umkreis der Wiener Werkstätte vertraut. Der Gentleman mit Zylinder begegnet uns weiters als Logofigur auf Tellern, Gläsern und auf den markanten Beleuchtungskörpern in der Jasomirgottgasse 9.

Foto: Speisenkarte des Stadtkellers abgebildet in: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 30, April 1912 – September 1912, S. 258.

Speisezimmer

Foto: Speisezimmer abgebildet in: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 30, April 1912 – September 1912, S. 255.

Foto: Detail des Buffetschranks mit Tellern aus DKD 1912, Seite 255.

Foto: Teller von Alfred Basel abgebildet in: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 30, April 1912 – September 1912, S. 259.

Foto: Suppen- und Menuteller aus der Grossen Tabakspfeife mit Dekor und Logo des Malers Alfred Basel, Porzellanmanufaktur Rosenthal, Selb, Bayern, um 1910, Dm 24,6 cm ( Privatbesitz Annette Ahrens, Tafelkultur, Wien).

Die Porzellanteller wurden bei der bayerischen Porzellanmanufaktur Rosenthal in Selb bestellt und von der Wiener Firma, der Wiener Porzellan Manufaktur von Josef Böck, Wiedner Hauptstrasse 25-27, 1040 Wien, vertrieben. Die Anzeige gibt Auskunft über die Niederlage der Porzellanfabrik in Schleckenwerth bei Karlsbad. Interessant, dass die Teller für die Tabakspfeife dennoch in Selb ausgeformt worden sind, für welche Böck neben Porzellanverleger für Pfeiffer & Löwenstein, Ohme, Fraureuth tätig war. Als Partner der Wiener Werkstätte wurden Entwürfe von Josef Böck ausgeführt. Ein rückseitig angebrachtes Etikett gibt Auskunft darüber, dass der Satz Teller über das Dorotheum in Wien im Jahr 2002 bereits einmal am Markt angeboten wurde (8 Suppenteller von Alfred Basel, Einbringungs-Nr. 139-10426 vom 19. 7. 2002, wurden jedoch erst im Sommer 2019 zurückgezogen). Dem MAK Wien wurde am 21.9. 1999 ein Teller geschenkt (siehe Sammlung MAK Wien Ke 10 668).

Foto: Anzeige der Wiener Porzellan Manufaktur Josef Böck, um 1900

Ebenso ist eine Glasserie, die wohl von der Firma Lobmeyr in Wien beigestellt wurde, dokumentiert. Die DKD illustriert einen Kristallbecher mit facettiertem Schaft und glatter Kuppa sowie dem geätztem Logo (siehe Seite 259). In Privatbesitz ist mir ein Krug mit identem Logo der großen Tabakspfeife bekannt. Ich werde mich um eine Abbildung bemühen.

Weiterführende Literatur:

Arthur Roessler, Das Restaurant „Zur großen Tabakspfeife“. Erbaut von Architekt Cesar Poppovits – Wien. In: Deutsche Kunst und Dekoration, Darmstadt, Verlagsanstalt Alexander Koch, Bd. 30, April 1912 – September 1912, S. 244-259.

Martina Bauer, Leopold Forstner (1878–1936): Ein Materialkünstler im Umkreis der Wiener der Wiener Secession. Böhlau Verlag, Wien 2016.

Waltraud Neuwirth, Wiener Keramik: Historismus, Jugendstil, Art Déco. Klinkhardt & Biermann, Braunschweig 1974.

Gerd Pichler Drachenkampf und Avantgarde in: „Im Wirtshaus“, Eine Geschichte der Wiener Geselligkeit, Wien Museum, 19. April – 23. September 2007.

Hans Pemmer, Alt Wiener Gast- und Vergnügungsstätten, Wien um 1960, unpubliziertes Manuskript im Wiener Stadt- und Landesarchiv, Seite 63 und 333 (Ich danke Frau Dr. Ingrid Haslinger, Deutsch-Wagram für diesen wertvollen Hinweis).